Martins key.matiq-Blog

>> Zurück zum Artikelverzeichnis >>


Digitales Erbe: Bravo BGH!

Geschrieben: 20.06.2017
Letzte Überarbeitung: 22.04.2021
Stichwörter: Recht u. Rechtsprechung

UPDATE (09. September 2020):

Der BGH musste sich erneut mit dem Fall befassen: Facebook wollte den Eltern immer noch nicht den Zugang zum Konto ihrer verstorbenen Tochter bereitstellen, sondern sie mit einem 14.000 Seiten langen unstrukturierten PDF-Dokument auf einem USB-Stick abspeisen.

Der BGH stellte nun nochmals klar, dass den Eltern der Zugang zu dem Konto so verschafft werden muss, dass sie so wie ihre Tochter auf die dortigen Dokumente schauen können. Facebook könnte lediglich von den Eltern verlangen, die aktive Nutzung des Kontos zu unterlassen, denn dazu bestünde für die Erb*innen kein Recht. Es gebe aber auch gar keine Anhaltspunkte dafür, dass diese so etwas vorhätten.

(Nach einem Artikel von tagesschau.de vom 08.09.2020 unter der Adresse www.tagesschau.de/wirtschaft/facebook-konto-erben-tod-101.html)

Auch diese neuerliche Entscheidung ist zu begrüßen und deckt sich vollumfänglich mit unserer Rechtsauffassung.

Für key.matiq ergeben sich jedoch andere Konsequenzen hinsichtlich der aktiven Nutzung, da key.matiq ja nur zum Teil der Kommunikation mit anderen dient: Erb*innen hätten bei einer key.matiq-Box durchaus das Recht, diese aktiv zu nutzen, um die enthaltenen Geheimnisse für sich selbst weiter zu verwalten. Sie hätten nur nicht das Recht, anderen gegenüber mit neu übertragenen Nachrichten oder Geheimnissen vorzuspiegeln, diese seien von dem oder der Verstorbenen versandt worden.

UPDATE (12. Juli 2018):

Heute hat der BGH das Urteil des Kammergerichts kassiert und klargestellt, dass digitale Inhalte nicht anders zu behandeln sind als Tagebücher oder Briefe. Der Vertrag mit Facebook sei ein normaler Vertrag, der auf die Erb*innen übergehe.

Damit hat das BGH endlich Rechtssicherheit geschaffen, in genau der Weise, wie ich es erhofft hatte. Der Artikel hat also vor allem nur noch historische Bedeutung, gibt aber auch Hinweise für diejenigen, die Ihre digitalen Geheimnisse nach dem Tod nicht weitergeben wollen.

Hier mein Artikel vom Juni 2017 (nur in der Rechtschreibung verändert):

Digitales Erbe: Gerichte unsicher

Am 31. Mai 2017 verwehrte das Kammergericht Berlin in zweiter Instanz den Elterneines verstorbenen Mädchens den Zugang zu dessen Facebook*-Konto (Az. 21 W 23/16), nachdem die Vorinstanz gegenteilig entschieden hatte. Der traurige Hintergrund ist: Die Eltern wollten aus den bei Facebook gespeicherten Chat-Protokollen erfahren, ob sich ihre Tochter selbst das Leben nahm oder "nur" verunglückte. Die Urteilsbegründung hat es in sich: Die Chat-Protokolle unterlägen dem Fernmeldegeheimnis. Schließlich gelte dieses auch für E-Mails, die auf den Servern von Providern liegen.

Mit Verlaub: Ein Fehlurteil

Wenn man Parallelen zieht (Chat-Protokolle zu E-Mails), so muss man diese schon sauber ziehen.

In dem Urteil vom BVerfG ging es um die Beschlagnahme von E-Mails auf dem Mailserver des Providers in einem Strafverfahren. Und da musste natürlich das Fernmeldegeheimnis beachtet werden. Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte sind ja genau dafür da, um die Willkür des Staates gegenüber den Bürger*innen zu verhindern. Und das Fernmeldegeheimnis betrifft den Austausch von Informationen über Postwege. In korrekter Analogie muss man dann dann auch E-Mails und Chats vor Übergriffen des Staates schützen.

Das hat aber mit dem Zugriff von Erb*innen auf ein Internet-Konto der oder des Verstorbenen überhaupt nichts zu tun. Ein Internet-Konto ist nicht anders als ein Schließfach, in dem Dokumente liegen. Natürlich können rechtmäßige Erb*innen, an ein solches Schließfach heran. Auch wenn die Dokumente Briefe von Dritten sind. Denn diese haben sie der Adressat*in überlassen, wohl wissend, dass sie an Erb*innen gelangen können.

Anders sähe es bei dem gesprochenen Wort aus, das heimlich mitgeschnitten wurde. Da hätte die oder der Verstorbene bereits kein Recht an dem Mitschnitt gehabt, also auch nicht die Erb*innen.

Gerichte unsicher

Das Problem kommt daher, dass ein E-Mail-Server oder auch Facebook sowohl Kommunikationsserver ist, als auch Informationen für die Besitzer*in aufbewahrt. Das Fernmeldegeheimnis greift nicht nur für die Kommunikation sondern auch für die Aufbewahrung auf Internetservern, aber bei letzterer eben nur als Schutz gegenüber dem Staat (und Hacker*innen und anderen Angreifer*innen), nicht als Schutz gegenüber der Besitzer*in und deren rechtmäßigen Erb*innen.

Ist erst einmal die Information ausgeliefert, hat die Besitzer*in das Recht diese einzusehen und dasselbe gilt für die Erb*innen. Wenn nach dem Tod der Adressat*in ein Brief ankommt, müsste dieser etwa zurückgeschickt werden? Man sieht: Mit der Rechtsprechung des Berliner Kammergerichts käme man schnell in den Wald und hätte sämtliche Rechtssicherheit verloren.

Mit einer anderen Parallele mag es noch deutlicher werden: Neben dem Fernmeldegeheimnis gibt es auch die "Unverletzlichkeit der Wohnung" als Grundrecht und dient dem gleichen Zweck: Den privaten Bereich und letztlich die Würde des Menschen vor Staat (und Angreifer*innen) zu schützen. Aber doch nicht vor den Erb*innen, die natürlich auch aufgehobene Briefe, Fotos, Geschenke von Dritten erhalten.

Auswege

Solange unseren Gerichten noch das Gespür für die richtigen Analogien im Internet-Zeitalter mangelt, sind vertragliche Grundlagen der richtige Weg, um die Rechtssicherheit wieder herzustellen. Doch sie sollten klug gewählt sein, und sich an dem orientieren, was die Gerichte urteilen sollten, nicht etwa am Gegenteil.

Facebook hatte etwa in den Nutzungsrichtlinien den Gedenkzustand, d. h. die Sperrung des Zugriffs nach dem Tod festgeschrieben. Stimmt man dem zu, so gilt dies als Vertrag und damit ggf. auch für die Erb*innen. Doch war im konkreten Fall das Mädchen noch nicht volljährig und hätte damit auch kein gültiges Testament verfassen können. Damit war die Zustimmung zum Gedenkzustand wohl nichtig.

Deshalb wäre es für Facebook wohl klüger gewesen, in den AGB die Herausgabe des Zugangs an die Erb*innen festzulegen (so wie wir dies in den AGB für key.matiq tun). Der konkrete Gerichtsstreit wäre überflüssig gewesen.

Auch für den Fall, dass man als lebensmüde 17-Jährige Dokumente mit ins Grab nehmen möchte, gibt es einen Weg: Löschen.

Vielleicht, will man sich gar nicht das Leben nehmen, also wohl auch auf die Informationen selbst noch zugreifen können, sie aber nicht an andere vererben. Ist man volljährig, könnte man das ins Testament schreiben. Ansonsten oder auch zusätzlich zur Sicherheit: Verschlüsseln.

*) Hinweise zu Marken Drit­ter:

"Facebook" ist eine Marke der Facebook, Inc.


>> Zurück zum Artikelverzeichnis >>